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Die verbale Aufrüstung in den sozialen Medien

Es ist noch nicht allzu lang her, da hat unser Bundeskanzler provokante Klimaaktivist*innen mit einer „dunklen Zeit“ assoziiert, die zum Glück lang vorbei sei. Nun möchte unser Justizminister in 280 Zeichen über Kommunismus reden.

Hätte mal jemand Marx und Engels gesagt, wie einfach diese Thematik ist

Eines muss man sagen: Wenn Kanzler Scholz und Justizminister Buschmann schnell viel Aufmerksamkeit generieren wollten, hat das hervorragend geklappt. Man sagt ja, es gäbe keine schlechte PR.

Aber ist es die Art Mentalität, die wir von unserer Bundesregierung wollen?
Simples Schwarz-Weiß-Denken und das Aufspringen auf die Social-Media-Trends, die gerade gut klicken?

Ich schätze jede Initiative der Politik, stärker auf die Bürger*innen zuzugehen. Und die immer häufigere Nutzung von Facebook, Twitter oder Instagram ist ein richtiger und zeitgemäßer Schritt. Ich appelliere allerdings an alle, die auch nur die mindeste Verantwortung zur Aufklärung der Massen tragen, sich dem Medium anzupassen.

"Weiß ist gut, Schwarz ist böse! Für mehr geistige Meisterleistungen, hinterlasst ein Like und ein Kommi!"

Vor allem Twitter lädt als Medium dazu ein, komplexe Dinge viel zu simpel darzustellen. Hey und das ist auch im Grunde voll okay. Wenn man den innigsten Wunsch verspürt, der Welt mitzuteilen, dass Apfelkuchen echt eklig ist, dann kann man das tun. Und wer widersprechen will, macht dies meist ungefragt. Hurra, ein Dialog ist geboren!

Und das ist doch das Schöne an Twitter. Es schafft einen Raum des kurzen, knappen Austausches. Etwas, was der Mensch in den meisten Fällen braucht. Man kann sich selbst darstellen, inszenieren und diskutieren. Etwas, was viel Spaß machen kann und wofür man mittlerweile nicht einmal mehr zur Türe hinaus muss.

Jetzt kommt aber der größte Feind des Neoliberalismus ins Spiel: der Kontext.

Kontext, Konstanz, Konsequenz – Politiker müssen aufhören im Vakuum zu agieren!

Nicht erst seit der Erfindung der sozialen Medien wissen wir, dass es sehr wichtig ist WO man WAS sagt.
Ich kann selbstverständlich jederzeit über Schrödingers Katze reden.
Das führt zu folgenden Situationen: Menschen auf Twitter werden zuerst an eine Katze denken.
Fachpersonal jedoch wird verstehen, dass ich von Quantenzuständen spreche.

Kurz: Jedes Thema wirkt auf den ungebildeten Menschen simpel, wenn man den Kontext einfach weglässt.
Ein Phänomen, das sich mit dem Dunning-Kruger-Effekt erklären lässt.

"Alles kommunistische Nazis, außer mir und Mutti!"

Dass kleine populistische Gruppen die sozialen Medien dafür nutzen, alle zu diffamieren, die nicht der eigenen Meinung entsprechen, wissen wir. Das ist auch soweit nichts Ungewöhnliches oder Neues. Im Zweifel sollte man ihnen die Freude lassen, denn meist haben sie sonst nichts und wissen es einfach nicht besser.

Wenn einflussreiche Menschen wie unser Justizminister jedoch unreflektiert antikommunistische Narrative teilt und allen ihm widersprechenden Menschen mangelnde Bildung unterstellt, wird es gefährlich. Wieso? Weil er vollkommen den Kontext des Raumes außer Acht lässt, in dem er gerade schreibt.

Es erschreckt mich es sagen zu müssen, aber Twitter ist nicht gefüllt mit Intellektuellen, die sich mit Marx auseinandersetzen und fachlich beurteilen können, was an einer Kommunismuskritik jetzt stimmt oder nicht stimmt. Im Gegenteil: Twitter ist ein Raum, in dem Menschen Bestätigung suchen. Gleichgesinnte.

Die Antikommunistischen Manifeste

Herr Buschmann spricht von geschichtlicher Bildung. Er redet vom Kommunismus. Doch was ist mit dem Antikommunismus, den er als ernannter Justizminister öffentlich verbreitet? Wo findet dieser sich in jüngster Vergangenheit?

Die Antwort könnte unangenehmer nicht sein: in den Manifesten rechtsradikaler Attentäter. Doch wieso?

Antikommunismus ist historisch betrachtet immer die erste Stufe auf dem Weg zum Faschismus. Linke in ihrer radikalsten Ausprägung sind selbstverständlich das prägnante Feindbild der Rechten. Und das praktischste: durch die Vielfältigkeit von „Linken“, kann man jede Feindgruppe zudem einfach zu Linken/Kommunist*innen erklären.
Jüd*innen, queere Personen, Schwarze, Muslim*a… sie alle müssen je nach Zeitgeist als Feindbild herhalten, das die gemeine Bevölkerung brutalst verändern will.

Kommt euch bekannt vor? Kein Wunder, denn wir erleben diese Auswüchse in fast allen Parlamenten Deutschlands am rechten Rand. Wir erleben im Grunde live, wie Minderheiten ein weiteres Mal als bösartig hingestellt werden und die ebenso bösartigen Linken diese Bösartigkeit unter dem Deckmantel der Toleranz unterstützt.

Wer jetzt noch weiter recherchiert, landet in den tiefsten Tiefen der Verschwörungsmythen: Kinder sollen verschwult oder vertranst werden. Muslim*a oder wahlweise Geflüchtete aus Afrika sollen die weiße Bevölkerung ersetzen. Und über allem stehen wie immer die jüdischen Eliten, die die armen Deutschen ausrotten wollen.

In diesen Nährboden pflanzte Justizminister Buschmann seinen Tweet.

"Unsere arme Debattenkultur..."

Ja, unsere Debattenkultur erlebt in Zeiten der sozialen Medien mit Sicherheit keinen Aufschwung. Doch jetzt einfach Twitter und Co. dafür verantwortlich zu machen, ist zu einfach. Wagt doch mal den Blick zu vermeintlich etablierten Medien.

Axel Springer veröffentlicht in der WELT einen Gastbeitrag, der zeigen soll, dass der ÖRR Kinder umerzieht und frühsexualisiert. Das ZDF bringt gleichzeitig einen Beitrag im Format „13 Fragen“, in dem offen transfeindlich agierende Personen eingeladen werden, zum Thema „Selbstbestimmungsgesetz“ zu sprechen.
Was haben diese Beispiele und unser Tweet gemeinsam: Die Autor*innen haben keinerlei Fachkenntnis, einer Überprüfung der Fakten hält keine von ihren Aussagen stand, und zu allem Überfluss sieht sich niemand in der Verantwortung, dies seiner Audienz mitzuteilen.

Ich behaupte: 
Konsument*innen können auf dieser Grundlage, in der Fakt und Lüge als gleichwertig hingestellt werden, gar nicht anders, als sich radikale Meinungen zu bilden.Hier erfahrt mehr zu diesem Phänomen der falschen Ausgewogenheit.

Medienkompetenz vorleben statt predigen

Wann hat man von Schüler*innen je verlangt, plötzlich ihre Lehrkräfte auszubilden? Richtig.

Und genau wie in dieser Metapher kann die Debattenkultur nicht mit dem Fingerzeig von oben repariert werden, sondern indem wir der Radikalität den Nährboden nehmen. Und das schaffen wir mit Fakten.

Einordnung von Inhalten muss jederzeit möglich sein und ich sehe Verlage, die Social-Media-Plattformen und auch die Legislative in der Verantwortung den Rahmen dafür zu schaffen. 

Dass es nur so funktioniert und Eigenverantwortung nicht einmal bei hohen Amtsträgern funktioniert, zeigt uns unser Justizminister mit seinem Tweet höchstselbst.

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